Wie ist der Weg zum Pflegegrad?

Wie ist der Weg zum Pflegegrad?

Pflegebedürftigkeit und Pflegebegutachtung sind immer individuell

Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit und Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Berücksichtigt werden folgende Bereiche:

  • Mobilität (10%)
  • Kognitive und kommunikative Fähigkeiten/ Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (15%)
  • Selbstversorgung (40%)
  • Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (20%)
  • Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (15%)

(Die Prozentangaben stellen die Gewichtung des jeweiligen Bereiches bei der Ermittlung des Pflegegrades dar.)

Im Folgenden finden Sie ein Beispiel für den Weg zum richtigen Pflegegrad, welches Sie für Ihre Beratung nutzen können.

Demenz und Apoplexie führen oft zu Pflegebedarf

Krankheit und Behinderung führen nicht zwangsläufig zu Unselbstständigkeit. 

Frau B. ist 82 Jahre alt und lebt seit dem Tod ihres Ehemannes vor vier Jahren alleine. War der Kontakt mit ihrer Tochter, zu der sie eine gute Beziehung pflegt, bis vor einem halben Jahr eher ein Besuchsverhältnis – Frau B. war sehr stolz auf ihre offenkundige Selbstständigkeit – so steht seit „dem Zwischenfall“ die Hilfe der Tochter im Vordergrund. Frau B. redet nicht gern über den Schlaganfall, der sie vor etwa einem dreiviertel Jahr richtig aus der Bahn geworfen hat. Doch mit Hilfe der Ärzte, einer geriatrischen Rehabilitationsmaßnahme, Ergo- und Physiotherapie ist Frau B. wieder halbwegs genesen. Trotzdem benötigt sie noch einiges an Hilfe und die kommt überwiegend von ihrer Tochter; sie erledigt fast den gesamten Haushalt und hilft Frau B. morgens und abends bei der Körperpflege.

Der Antrag auf Leistungen aus dem Pflegeversicherungsgesetz - zuständig ist die Pflegekasse

Der Weg zum Pflegegrad – zur Leistung aus dem Pflegeversicherungsgesetz – führt über die Antragstellung. Jede Pflegekasse der unterschiedlichen Krankenkassen hat ein eigenes Formular. Ein Telefonanruf genügt und das Antragsformular kommt per Post.

Eine gute Bekannte von Frau B. versucht die Tochter bereits seit einiger Zeit zu bewegen, Pflegegeld von der Krankenkasse zu beantragen. Schließlich beherzigt die Tochter den Rat der Bekannten ihrer Mutter, ruft bei der Krankenkasse an und erfährt, dass es eine Pflegekasse gibt, die für Leistungen aus dem Pflegeversicherungsgesetz zuständig ist. Einige Tage später findet sich ein Antragsformular der Pflegekasse im Briefkasten von Frau B.

Sie und ihre Tochter gehen gemeinsam das Formular durch – was die alles wissen wollen – und Frau B. entschließt sich den Antrag zu stellen, wobei ihr auffällt, wie schwer ihr das Unterschreiben des Formulars fällt. Sie ist eben „aus der Übung“.

Fünf entscheidende Wochen: Vom Antrag zum Bescheid

Der Medizinische Dienst führt die Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch. Das Pflegeversicherungsgesetz und die hieraus festgelegten Richtlinien bestimmen Ablauf und Inhalt des Verfahrens. Von Antragstellung bis zum Bescheid dürfen maximal 5 Wochen vergehen. 

Die Medizinische Dienst Begutachtung erfolgt in der eigenen Häuslichkeit des Antragstellenden und nach einer festgelegten Vorgehensweise. In einem Formulargutachten wird entsprechend der Richtlinien zur Feststellung des Pflegebedarfs die Selbstständigkeit in den unterschiedlichen Bereichen dokumentiert.

Der Antrag wird auf den Weg geschickt und weiter geht’s im bekannten Alltags-Trott. Nahezu zwei Wochen hören die B.s nichts mehr von der Antragstellung, bis ein Schreiben des Medizinische Dienst ankommt: darin wird eine Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit angekündigt. Heute in der Zeit von 8:00 bis 12:00 Uhr kommt der Gutachter des Medizinischen Dienstes im Auftrag von Frau B.s Pflegekasse. Die Tochter will natürlich die Mutter bei der Begutachtung begleiten und denkt sich insgeheim: „Von 8:00 bis 12:00 Uhr, naja, ich hab ja auch sonst kaum was zu tun…“

Die Begutachtung zur Feststellung des Pflegebedarfs - eine gute Vorbereitung ist der halbe Pflegegrad…

Es gibt immer noch Antragsteller, die unvorbereitet in eine Pflegebegutachtung gehen. Ohne weder Vorbereitung, noch Kenntnis des Verfahrens wird es schwer, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Im Grunde sind beide erleichtert, dass Bewegung ins Verfahren gekommen ist. Die Gewährung des Pflegegrades wird als ein Teil ausgleichender Gerechtigkeit gesehen, zu viel Leid und Krankheit hat Frau B. in den vergangenen Monaten erleben müssen und nie richtig darüber mit ihrer Tochter gesprochen – aber soweit ist es dann doch noch nicht. „Wir warten mal ab, was dabei rauskommt“.

Die pflegenden Angehörigen dürfen sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und die Vorbereitungszeit nutzen.

Am Tage der Begutachtung merken beide die Anspannung. Die Begutachtung versetzt die Mutter und besonders die Tochter in Erstaunen: was der Gutachter alles wissen will!

Das Gutachten hat einen rechtlichen Rahmen: Die Richtlinien zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des MDS

Die Begutachtung läuft stets nach dem gleichen Schema ab:
Die Gutachterin oder der Gutachter erhebt die pflegebegründende Vorgeschichte und stellt durch belegte Befunde die Situation des Pflegebedürftigen dar. Daraufhin werden die Befunde und Diagnosen bewertet und die Selbstständigkeit in den unterschiedlichen Bereichen erfragt.

Es kamen Fragen zu den einzunehmenden Medikamenten, zu den behandelnden Ärzten, welche Hilfsdienste in Anspruch genommen werden, was die Tochter alles an Hilfe leistet und in welchen Bereichen Frau B. noch selbstständig ist. Vorturnen musste Frau B. auch etwas – der Gutachter sprach hier von Funktionsgriffen, mit deren Hilfe er einige Fähigkeiten bei den Verrichtungen ableiten könne. Nachdem Frau B. ihren Tagesablauf geschildert hatte, wurden noch einzelne Wege und das Treppensteigen besprochen sowie gefragt, ob Frau B. Hilfe beim Anziehen benötige. Die Tochter musste Frau M. mehrere Male bremsen; teilweise – so sagte sie später – hätte Frau B. die Fragen beantwortet als ob sie gar keine Hilfe benötige. Das passt überhaupt nicht in das Bild des Alltags, so wie die Tochter ihn kennt.

Der Bescheid der Pflegekasse richtet sich nach der Empfehlung der Gutachter bzw. dem Gutachten selbst. Die Pflegekasse teilt den hieraus festgestellten Pflegegrad und die gewährten Hilfen entsprechend dem Pflegeversicherungsgesetz mit. 

Etwa drei Wochen vergehen bis Frau B. wieder Post von der Pflegekasse bekommt. In einem sachlichen Schreiben wird Frau B. mitgeteilt, dass Versicherte Anspruch auf Leistungen gemäß dem SGB XI (das Gesetz der sozialen Pflegeversicherung) haben, wenn sie bei der Begutachtung mehr als 12,5 Punkte erhalten haben. Der gestellte Antrag musste leider abgelehnt werden, da bei Frau B. lediglich 10 Punkte im Gutachten festgestellt wurden… Also, kein Pflegegrad, kein Anspruch auf Leistungen aus dem Pflegeversicherungsgesetz.

Lassen Sie sich fachkundig beraten – vor der Begutachtung

Die Pflegekassen haben den gesetzlichen Auftrag, ihren Kunden Pflegeberatung zu gewähren. Die Art und Weise der Pflegeberatung ist per Gesetz nicht abschließend geregelt. 

Nun ist guter Rat teuer, denn mittlerweile hat die Tochter von Frau B. einen ambulanten Pflegedienst beauftragt, an festgelegten Tagen in der Woche die Hilfe zur Körperpflege zu übernehmen.

Frau B. hat auf einmal gleich zwei Ratgeber: die Pflegedienstleiterin des ambulanten Pflegedienstes und die Pflegeberaterin der Pflegekasse.

Die Pflegeberaterin gibt wichtige Auskünfte zum weiteren Verfahren: da der Bescheid rechtsmittelfähig ist, kann Frau B. innerhalb eines Monats gegen den Bescheid Widerspruch einlegen.

Das Formulargutachten der Pflegekasse hilft beim Widerspruch

Falls es nicht mit dem Bescheid mitgeschickt wurde – ein Anruf bei der Pflegekasse genügt. 

„Um einen Widerspruch schlüssig begründen zu können, müssen Sie genau wissen, was in Ihrem Gutachten bezüglich dazu steht, wie der Gutachter auf Ihren Punktwert gekommen ist “, erklärt die Pflegeberaterin weiter.

Gesagt, getan. Die Tochter von Frau B. ruft wieder einmal die Pflegekasse an und wieder einmal erhält Frau B. in den kommenden Tagen Post: und wieder einmal sind Tochter und Mutter etwas erstaunt – diesmal über den Umfang des Gutachtens!

Je besser die Angehörigen und Pflegebedürftigen über das Antragsverfahren und die Richtlinien zur Begutachtung Bescheid wissen, desto differenzierter können sie die Notwendigkeit des Pflegebedarfs darstellen.

Die Erklärungen der Pflegeberaterin scheinen kein Ende zu nehmen. Anhand des Gutachtens verdeutlicht sie die Vorgehensweise der Begutachtung.

Die Formen der Hilfe (§14 SGB XI)

Es gibt vier Stufen des Hilfebedarfs:

„Selbstständig“ bedeutet, dass alle Tätigkeiten ohne Unterstützung durchgeführt werden können.

„Überwiegend Selbstständig“ bedeutet, ergänzende Hilfe wird benötigt; z. B. kann Frau B. sich zwar selbst waschen, aber das Waschwasser muss bereitgestellt werden, der Waschlappen muss gereicht werden und nach dem Waschen beseitigt werden. Ein weiteres Beispiel ist das Bereitlegen geeigneter Kleidungsstücke im Rahmen des An- und Auskleidens.

Die „Überwiegende Unselbstständigkeit“ liegt bei Frau B. vor, da sie das Gesicht und Teile des Körpers zwar selbstständig wäscht, für das Waschen der Füße und Beine aber die Hilfe der Tochter benötigt wird. Manchmal ist Frau B. durch das Waschen so erschöpft, dass die Tochter alle restlichen Tätigkeiten der Körperpflege zu Ende bringen muss.

„Unselbstständigkeit“ läge vor, wenn Frau B. nicht mehr in der Lage wäre, die Körperpflege selbst durchzuführen.

Es wird nicht begutachtet wie krank jemand ist

Die Beraterin erinnert Frau B. und ihre Tochter an einen sehr wichtigen Punkt: In der Pflegebegutachtung wird nicht beurteilt, welche Krankheiten ein Antragsteller hat, sondern wie selbstständig die Antragstellenden in den folgenden Bereichen sind:

  • Mobilität (körperliche Beweglichkeit; z. B. morgens vom Bett aufstehen und ins Badezimmer gehen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen)
  • Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (Verstehen und Reden; z. B. Orientierung in Ort und Zeit, Erkennen und Begreifen von Sachverhalten und Risiken, andere Menschen im Gespräch verstehen)
  • Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (Unruhe in der Nacht, Ängste und Aggressionen, die für sich und andere belastend sind, Abwehr pflegerischer Maßnahmen)
  • Selbstversorgung (sich selbstständig Waschen und Ankleiden, Essen und Trinken, selbstständige Benutzung der Toilette)
  • Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (Medikamente selbst einnehmen, die Blutzuckermessung selbst durchführen und deuten können, gut mit einer Prothese oder dem Rollator zurechtkommen, den Arzt selbstständig aufsuchen können)
  • Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (den Tagesablauf selbstständig gestalten, mit anderen Menschen in direkten Kontakt treten oder die Skatrunde ohne Hilfe besuchen können)

Frau B. überlegt, ob sie einen Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid der Pflegekasse und gegen das Ergebnis des Gutachtens erheben soll.

Die Pflegedienstleiterin des ambulanten Pflegedienstes gibt ihr einen wichtigen Tipp.
Die Profis in der Pflege planen und dokumentieren alle pflegerischen Tätigkeiten. Frau B. soll es doch so ähnlich machen: „Schreiben Sie zuerst auf, in welchen Bereichen sie Unterstützung benötigen – von morgens bis abends und in der Nacht. Führen Sie ein Pflegetagebuch. Der Pflegedienst wird Ihnen später dabei behilflich sein, Ihre Aufzeichnungen zu sortieren und fachlich richtig zu benennen und zu bewerten.

Das Pflegetagebuch

Es gibt viele, teils sich sehr ähnliche Vordrucke, die an das Formulargutachten angelehnt sind. Wenn professionelle Beratung in Anspruch genommen wird, ist es einfacher alle Tätigkeiten der Pflegeperson der Reihe nach chronologisch aufzuschreiben. Als Beraterin oder Berater können Sie dann die Tätigkeiten entsprechend der Richtlinien zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit nach Form, Art und Umfang ordnen.

Pflege im Kreis Borken – Der Podcast für Deine Fragen

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